Erzähl von früher

Erzähl von früher

„Du, Papa, erzähl‘ doch mal, wie es früher so war, als Du klein warst“

Mit dieser Frage sind Väter häufig konfrontiert und dann erzählt man ein wenig aus seinem Kinderleben, angereichert mit unerfüllten Wünschen und Hoffnungen. Auf jeden Fall kommt man selbst dabei gut weg. Schwierig wird es, wenn man es nicht schafft, sich an das Erzählte später wieder zu erinnern. Bekanntlich sind Kinder gnadenlos im Erkennen von Schwindeleien oder Übertreibungen anderer, speziell bei den Eltern.

So will ich denn – so ehrlich wie möglich, nicht alles aber einiges –  über mich berichten, was mir in Erinnerung geblieben ist. Auf jeden Fall sind die Erlebnisse meiner ersten zwölf Lebensjahre prägend für mein späteres Leben geworden.

Eine chronologische Erzählweise ist bei meinem – auch heute noch – gedanklichen Hin- und Herspringen nicht zu erwarten. Für wen ich es schreibe? Zunächst natürlich für mich, vielleicht finden es aber auch meine Kinder und Enkel gut. Das reicht mir für meine Zufriedenheit.

Anmerkung:
Beim Aufschreiben meiner Erinnerungen stellte ich fest, dass hier noch ein paar Bilder hingehören. Freie Bilder oder Bilder, die sich zur Web-Veröffentlichung eignen, sind kostenlos schwer zu bekommen. Daher werde ich mich wohl aufmachen müssen, selbst ein paar Fotos zu machen.

Anmerkung 2:
Im Laufe der Zeit wird diese Seite ergänzt. So nach und nach fallen mit weitere berichtenswerte Geschichten wieder ein.

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[su_spoiler title=“Dulsberg“ style=“fancy“ icon=“chevron“]

„Du, wir wohnen jetzt auf dem Dulsberg“ war die Aussage von meinem Vater. Mit meinen zwei Jahren konnte ich damit noch nicht so viel anfangen. Ich verstand nur Berg und stellt mir einen riesigen Hügel vor. Hoffentlich konnte ich da hinaufklettern. Aber wenn ich bei meinem Vater an der Hand ging, würde es wohl klappen.

Ich kletterte in meine Kinderkarre und Vati und Oma fuhren mit mir los. Während es in den letzten Tagen recht kühl gewesen war, hatten wir heute einen sonnigen Tag und ich war vergnügt in meiner Karre. Wir wohnten zu der Zeit in Popmbüll (so verstand ich es). Erst später erfuhr ich, dass es sich um das Grundstück meiner Großeltern handelte und wir mangels eigenen Wohnraums – wenige Jahre nach dem Krieg – erstmal bei Oma und Opa untergekommen waren.

Ich brabbelte die ganze Zeit vor mich hin auf dem langen Weg zur Stadtbahn, wusste ja nicht, dass dieser Tag ein wesentlicher in meinem Leben werden würde.

In der Bahn bekam ich Angst vor den laut schließenden Türen und dem Lärm des fahrenden Zuges und fing an zu weinen. Es roch auch so komisch, gar nicht wie zu Hause. Aber Oma konnte mich – wie eigentlich immer – beruhigen. Schließlich kamen wir an der Zielstation an – noch ein Berg, aber vorn irgendwas mit Fried oder so. Wieder ab in die Karre und Vati schob mich wieder. Entlang der Straße waren riesige Häuser, ganz aus Stein, mit vielen Eingängen. Vor einem dieser Häuser blieb Vati stehen und sagte: “ Hier geht’s rein“. Aha und wo genau wollten wir hin? Vati ließ meine Karre im Hausflur stehen und nahm mich auf den Arm. An einer Wohnungstür blieb er stehen und klingelte. Es öffnete eine Frau . . .

„Mutti, du hier?“ war mein erstaunter Ausruf. Was machte meine Mutter in dieser fremden Wohnung und warum strahlten alle so? Ich verstand die Großen nicht, was hier so toll sein sollte. Aber wenn Mutti da war, musste alles gut sein.

Das war mein Umzug auf den Dulsberg*). Ich habe erst sehr viel später erfahren, dass meine Befürchtungen, auf einen Berg klettern zu müssen, unbegründet waren. Ich war zu müde, um darüber weiter nachdenken zu können. Mein Bett stand schon da und ich konnte endlich meinen Mittagsschlaf machen. Dass dieses Bett nicht zufällig hier war und dieses unsere neue Wohnung wurde, konnte mir natürlich nicht in den Sinn kommen.

*) Dulsberg, eigentlich Tollsberg (Teufelsberg), Anhöhe im Bereich der heutigen Hamburger S-Bahnstation Friedrichsberg, erstmals 1271 urkundlich erwähnt
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[su_spoiler title=“Steine“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Tja, nicht wie Ihr wieder denkt . . .

Meine neue Heimat hatten wir häufig verlassen, um im Sommer in Poppenbüttel zu sein. Garten, Obstbäume, Wiese, alles, was Kinderherz benötigt.

Als wir diesmal kamen, war alles verändert. Vor dem Haus klaffte ein großes Loch. Ringsum waren Berge (!) mit ausgehobenen Sand und unten in der Grube standen Vati und Opa und machten irgendwas. Später erfuhr ich, dass dieses der Keller für den Anbau werden sollte, in dem Opa seine Backstube und seinen Verkaufsraum unterbringen würde. Schließlich war er Konditor und wollte hier am Ende von Poppenbüttel eine Konditorei einrichten.

Für mich war die große „Sandkiste“ natürlich toll und so konnte ich den Männern mit meinem Spielzeug-Eimer gut helfen. Schnell machte ich mich an die Aufgabe, füllte den Eimer und hielt ihn nach unten, damit Opa ihn abnehmen konnte. Wieviele Eimer heimlich weggeschüttet wurden, weiß ich nicht, aber mein „Sand“ war manchmal doch recht schwarz. Beim Mauern der Kellerwände wollte ich auch helfen. Hier galt es, Steine nach unten zu reichen. „Ich auch“, rief ich und warf Opa einen Stein runter. Irgendwie hörte Opa mich nicht und fing den Stein nicht. Komisch. Opa lag am Boden und hielt sich den Kopf. Weiß gar nicht, warum. Er hatte doch nicht gefangen! Und so rote Haare hatte er doch gar nicht.

Er kam hoch, nahm mich in den Arm und drückte mich und sagte irgendwas Nettes zu mir.

Gemein, anschließend durfte ich nicht mehr mithelfen. Und die Erwachsenen waren auch ein wenig komisch zu mir, außer Opa. Der war nett.
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[su_spoiler title=“Eis und Rosen“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Schon wieder Poppenbüttel.

Immer wenn wir uns im Sommer auf den Weg  zu Oma und Opa machten, dauerte es ganz schön lange. Schließlich fuhr hier noch kein Bus und so was, wie HVV war nicht denkbar. Also reichte eine S-Bahn-Karte von Friedrichsberg bis Poppenbüttel. Die restliche Strecke von fast 4 km gingen wir zu Fuß, also ich in der Karre, später mit meinem Roller. Das dauerte dann schon eine ganze Weile.

Wenn ich dann von weitem das erste Haus auf der rechten Seite sehen konnte, wusste ich, dass es nicht mehr weit war. Das Haus meiner Großeltern war das übernächste.

Vorn an der Hecke hing eine große weiße Fahne mit roten EIS-Buchstaben. Eine weitere hing am Ende der Straße. Die Harksheider Straße endete damals am Kupferteichweg. Auch die spätere Buskehre war noch nicht vorhanden. Jetzt wusste ich: „Opa hat Eis gemacht“.

Da war für mich immer wieder faszinierend und natürlich auch lecker.

Die Eisherstellung ging noch sehr traditionell von statten. Opa bekam lange Stangen Eis angeliefert, die er irgendwo lagerte. Die zerkleinerte er dann, füllte sie in die Eismaschine und fügte Salz hinzu. In den großen Kupferkessel, der inmitten der gebrochenen Salz-Eis-Masse stand, kam Sahne und Früchte und Zucker bestimmt noch was anderes, was ich damals nicht mitbekam. Dann wurde der Deckel geschlossen und die Maschine angestellt. Sie rührte langsam eine ganze Weile. Irgendwann war es fertig und ich durfte als erster probieren. Mmh, ein so leckeres Eis habe ich nie wieder bekommen, schließlich war es von Opa!

In der Backstube war Opa in seinem Element. Seine Sahnetorten waren ein Gedicht. Besonders geschickt war er beim künstlerischen Gestalten der Torten. Eines Tages kam ich in die Backstube und da stand sie dann: Eine Rosentorte mit einer Vielzahl von in aufwendiger Handarbeit gefertigten kleinen Rosen. Da ich wusste, dass Opa hierfür Marzipan nahm und diesen entsprechend einfärbte, wollte ich probieren, ob die Rose immer noch nach Marzipan schmeckte. Also: Finger raus, Rose geschnappt und gegessen. Aah, war das lecker, gleich noch eine und damit er es dann nicht merkt, habe ich die Stelle ein wenig „glattgestrichen“. Fällt bestimmt nicht auf . . . Doch es fiel auf und von Oma gab es erstmal einen kräftigen „Einlauf“. Aber Opa meinte nur: „…, macht doch nichts, wenn es ihm doch geschmeckt hat…“ und reparierte die Schandtat seines Enkels. Später hörte ich, dass die Kundin sehr zufrieden war und ebenfalls über die Geschichte herzlich gelacht hatte. Ich war mir nicht sicher, ob sie es wirklich lustig fand oder mich ausgelacht hat.

Nun ja, wie ihr merkt, hatte ich den besten Opa der Welt.
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[su_spoiler title=“Wohnung“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Wir wohnten in der Elsässer Straße. Im ersten Stock links.

Die Häuser auf dem Dulsberg stammten aus einem Entwicklungsplan des seinerzeitigen Oberbaudirektors Fritz Schumacher. Sein Credo war, dass jede Wohnung Tageslicht haben sollte und Gewerbe aus dem Stadtteil herausgehalten wird. Die Häuser wurde in Rotklinkerbauweise errichtet. Es gab Innenhöfe zum Spielen und Entspannen. Teilweise auch mit hervorragenden Kunstobjekten. Wer also Gelegenheit hat, den Dulsberg zu besuchen, sollte Zeit einplanen und alles fußläufig erkunden.

Unsere 2 1/2-Zimmer-Wohnung hatte alles, was für mich wichtig war: Ein eigenes Zimmer 7qm für mich, Wohn- und Schlafzimmer, Küche mit Speisekammer, WC (in der Wohnung! Keine Selbstverständlichkeit) und sogar einen Balkon auf den Hinterhof. Der Hauptaufenthaltsraum war aus meiner Kindersicht immer die Küche, in der Mutti ständig irgendwas tat. Wir hatten einen Ofen, auf dem der Wasserkessel stand und einen Gasherd mit Backofen. Damit wir auch Warmwasser hatten, gab es über dem Ausguss einen kleinen Boiler mit einem roten Licht. Zentral vor dem Küchenfenster stand unser Tisch. Bei den anderen war in dem Küchentisch sogar eine Waschschüssel integriert. So was hatten wir nicht. Die Oberfläche des Tisches war irgendwie korkähnlich. Der Küchenofen hatte Ringe, die man herausnehmen konnte, um einen Topf direkt auf das Feuer zu stellen. Ich kann mich erinnern, dass Feuer schon immer eine Faszination auf mich ausgeübt hat. Nachts, wenn alle schliefen, schlich ich in die Küche, hob einen Ring an und warf ein Papiertaschentuch hinein. Hui, war das schön, wenn die Flamme aufglomm. Und wenn die Glut durch das Taschentuch kroch, bis nur noch Asche übrig war. Erwischt worden bin ich dabei nicht. War auch besser so.

Von meinem Fenster aus hatte ich einen guten Blick auf die Straße und konnte sehen, was da so passiert. Immer wenn es anfing zu regnen, zeichneten die Autos nasse Spuren auf die Straße. Im Winter gefror die Feuchtigkeit der Räume auf den Fensterscheiben und brachte wunderschöne Eisblumen zutage. Die kratzte ich genauso gern ab, wie die Tapeten an den Klebekanten in meinem Zimmer.

Als ich größer wurde und nicht mehr in mein Kinderbett passte, bekam ich ein Klappbett mit Oberschränken darüber. In hochgeklapptem Zustand konnte man einen grünen Vorhang aus dickem Stoff davorziehen. Damit die Bettwäsche nicht herunterfiel, musste ich sie vorher mit Gurten festmachen.

Wir hatten in der Wohnung auch noch einen kleinen Besenraum, den ich bei den wenigen (?) Gelegenheiten, wo ich unartig war, von innen kennenlernen durfte. Da hier keine Lampe war,  hatte ich häufig Angst, fing an zu weinen und versprach: „ich mache es auch nie wieder“. Da ich mich an nur wenige Gelegenheiten erinnern kann, war ich wohl doch kein so schwieriges Kind.

Im Wohnzimmer stand ab etwa meinem 10. Lebensjahr ein Fernseher. Abends war ich natürlich im Bett, konnte aber die Geräusche des Fernsehers gut hören. Also leise aufgestanden und um die Ecke gelugt. Da habe ich manche Viertelstunde gestanden und zugesehen, was diese Menschen da im Fernseher alles von sich gaben. Na klar, Mutti merkte es und „Jetzt aber ab ins Bett“ war noch eine glimpfliche Aufforderung.

Holz.-Kohleofen Klein » Öfen, Heizung, Klimageräte aus Weinheim
Sah etwa so aus. Wer hat früher schon seinen Ofen fotografiert. Quelle: quoka.de

Geheizt wurde mit Kohle. Im Wohnzimmer und Schlafzimmer (dort nie benutzt) stand ein Hamburger Ofen, der unten eine kleine Tür und oben eine größere Tür hatte. Unten wurde Zeitungspapier geknüllt hineingetan und darauf einige Stücke Anmachholz. Wenn dieses brannte wurden von oben die Kohlen hineingeschüttet. Ab und zu kam dann noch ein Brikett hinzu. Am nächsten Morgen musste dann natürlich die Asche entfernt werden. Alles in allem eine ziemlich dreckige Angelegenheit.

Um den Dreck wieder vom Körper zu bekommen, war Sonnabends (nicht Samstag, ihr Südländer!) Waschtag. Auf dem Küchenherd wurde Wasser heiß gemacht und die Zinkbadewanne aus dem Keller geholt. Das heiße Wasser – zusammen mit kaltem aus der Leitung – kam hinein und zunächst stieg Vati hinein. Danach war ich dran – natürlich im gleichen Wasser! Meine Mutter hat sich wohl nie gewaschen, zumindest habe ich es damals nicht mitbekommen.

Mindestens zweimal im Jahr kam der Sottje (Schornsteinfeger). Für uns Kinder immer ein Spaß, da wir mit ihm auf den Boden gingen und durch die Ausstiegsluke nach draußen guckten. So hatten wir einen Rundblick über unseren Stadtteil. Getraut, auch nach draußen zu klettern, hat sich Gottseidank niemand. Was da hätte passieren können.
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[su_spoiler title=“Kindergarten“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Natürlich waren wir nicht immer in Poppenbüttel, sondern im Regelfall zuhause am Dulsberg.

So etwa mit 4 Jahre hielt meine Mutter es für nötig mir die große Welt zu zeigen. Das hieß: ich musste in den Kindergarten. Von uns aus keine 200 m, allerdings musste ich dazu über die „Große Straße“ gehen. Bislang durfte ich unten nur auf dem Gehweg spielen und die „Große Straße“ (Straßburger Straße) war für mich tabu. Da ich mich – zum Glück für meine Eltern – zumeist an die Anweisungen gehalten hatte und nur vor der Haustür oder im Hinterhof, der durch den Keller erreichbar war, spielte, war es schon ein Abenteuer. In den ersten Tagen ging meine Mutter noch mit mir hin und holte mich ab. Aber so nach zwei Wochen hatte ich Freunde gefunden, die auch über die Straße mussten. Meine Mutter stand dann nur noch auf „ihrer“ Seite und wartete auf mich. Zwar war der Straßenverkehr noch nicht so stark wie heutzutage, aber in der Mitte fuhr regelmäßig eine Straßenbahn der Linie 8, die uns Träumerle häufig mit ihrer Klingelei erschreckte. Spannend war es zuzusehen, wenn der Fahrer die Weiche umschalten musste, da manchmal die Straßenbahn nur bis zum Straßburger Platz fuhr, der zu einer Wendeschleife ausgebaut war. Da blieben wir dann stehen und sahen zu, wie er sich aus seinem Fenster lehnte, die an der Außenseite der Bahn befestigte Stange löste, in die Weiche steckte und diese damit umschaltete. Anschließend kam die Stange wieder an ihren Platz und nach dem Klingeln fuhr sie langsam im Kreis. So was Tolles wollten wir, wenn wir groß waren, auch machen.

Ach ja, Kindergarten. So viel Einzelnes ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Wir haben viel gespielt, gesungen und Spaß gehabt. Ich hatte immer eine kleine ledernde Brottasche dabei, in der meine Mutter mein Brot und bestimmt einen Apfel gepackt hatte. Apfel essen aus dem Garten von Oma und Opa war ein Traum. Da gab es schrumpelige, welche mit einem fleischigen Stiel, andere, die eher etwas sauerer waren und natürlich selbst gemachten Apfelmus.

Irgendwann war die schöne Zeit vorbei und ich kam zu Schule.
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[su_spoiler title=“Schule“ style=“fancy“ icon=“chevron“]

„Du wirst im nächsten Monat 6 Jahre alt und wir wollen uns schon mal die Schule ansehen“ meinte Mutti eines Tages.

Cool (o.k. das Wort gab es damals noch nicht), also: „Prima, wann denn?“

„Gleich morgen“

„Aber . . .“

„Nichts aber, die Bildung muss in Deinen Kopf“

Bislang hatte ich an meinem Kopf nichts auszusetzen. Er war groß, voller ungebändigter hellblonder Haare, die gelegentlich mit Mastix und Haarspange in Form gebracht wurden und sah eigentlich ganz gut aus. Also demnächst Schule. Mal sehen, wie es wurde.

Aber zunächst musste ich zum Direktor Rieckmann. Der unterhielt sich sehr freundlich mit mir und legte mit ein Bild eines Hauses vor, bei dem ich gucken sollte, was denn noch fehlen würde. Das war leicht. Das Haus hatte keine Tür und keine Fenster, die hatten auch keine Gardinen. Und  – damit verblüffte ich ihn – auch keinen Schornstein und keinen Schornsteinrauch. Das habe ich dann künstlerisch wertfrei eingezeichnet. Damit war er dann zufrieden und ich durfte am 1. April 1955 in die Senator-Krause-Schule gehen, die damals eine Hauptschule (1.-9. Klasse) war.

An einem Freitag war es dann so weit. Ich kam in die Schule. Mutti und ich gingen gegen Mittag den gar nicht so langen Weg zur Schule. Wir saßen mit vielen anderen Schülern, alle mit einer Schultüte und dem Ranzen bewaffnet in der Turnhalle. Die größeren Kinder sangen etwas und führten ein Stück auf. Nach einer langweiligen Rede rief Herr Rieckmann die einzelnen Kinder klassenweise auf. Ich kam in die Klasse von Frl. Borchert (Fräulein, eine übliche Anrede unverheirateter Frauen der damaligen Zeit. Sie war bestimmt Mitte 50, da sie ein Jahr nach meiner Mittleren Reife in den Ruhestand ging.) Beinahe wäre ich zu früh los gelaufen, da ich auf „Bernd“ reagierte und wir noch einen weiteren in unserer Klasse hatten. Da merkte ich dann erstmals, dass zu meinem Vornamen auch immer ein Nachname gehört.

Wie auch heute noch üblich, liefen wir im Gänsemarsch hinter der Lehrerin zu unserem Klassenraum. Wir, das waren damals 38 Schülerinnen und Schüler.

Nachdem sie uns begrüßt hatte und eine Geschichte vorgelesen hatte, durften wir wieder zu unseren Eltern zurück. Den nächsten Tag (Sonnabend) hatten wir frei, aber am Montag sollten wir pünktlich um 13:00 Uhr in der Schule sein. Die hohe Kinderzahl und die infolge des Krieges wenigen unversehrten oder wieder aufgebauten Schulen führte dazu, dass in vielen Schulen Hamburgs Schichtunterricht war. Eine Woche vormittags, eine Woche nachmittags und am Sonnabend (jeweils 3 Stunden) war Regelunterricht. Da ich in der 1e war (das war die B-Schicht), hatten wir mindestens 6 Eingangsklassen.

Da ich eher der stille, zurückhaltende Schüler war, hatte ich relativ wenige Freunde in der Hauptschule, bis auf das eine oder andere Mädchen, die dann aber spätestens nach der 4. Klasse zum Gymnasium gingen. Zwei Jungs, die das auch wollten, schafften die Aufnahmeprüfung nicht. Von den Mädels waren es aber auch nur zwei oder drei.

In der 5. Klasse bekamen wir Herrn Bär, einen lauten, kräftigen Klassenlehrer, der sich rühmte zu boxen und uns regelmäßig seine geschwollenen Fingerknöchel zeigte. Herr Bär und ich waren kein Dreamteam. Meine Vorsicht bei bestimmten Dingen war für ihn Feigheit, die er auch regelmäßig vor anderen erwähnte. Weiß Gott, ein Pädagoge, wie er nicht im Buche stehen sollte. Aber auch ihn habe ich überlebt. Die bestandene Aufnahmeprüfung zur Mittelschule Alter Teichweg trennte dann unsere Wege.
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[su_spoiler title=“Taschengeld“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Meine Mutter meinte irgendwann: „Der Junge muss Taschengeld haben“ und gab mir an jedem Sonntag 50 Pfennig. Für mich, der ich bislang nichts hatte, auch keine zusätzlichen Wünsche – irgendwie war ich zufrieden mit dem was ich hatte und dem was ich Weihnachten oder am Geburtstag bekam – eine Menge Geld.

Was konnte ich mit dem Geld anfangen? Bonsche kaufen, ja, aber Süßigkeiten war damals noch nicht mein Ding. Und sonst so. Wir haben doch Sommer und da gibt es Eis! Eine Kugel nur 10 Pfennig. Also rannte ich los zum Eisladen, holte eine Tüte Eis mit einer Kugel und war seelig. Natürlich habe ich das Eis ganz langsam geschleckt. Schließlich sollte Mutti auch noch was davon abbekommen. Das war mir wichtig.

Wenn ich mich richtig erinnere, erhielt ich ab und zu nochmals 50 Pfennig am Sonntag. Dann konnte ich in die Kindervorstellung im Rondeel-Kino in der Dithmarscher Straße gehen. Märchenfilme waren für mich die schönste Abwechslung. Einen Fernseher hatten wir (noch) nicht. Damals gab es auch bei der Kindervorstellung eine „Wochenschau“ (Nachrichtenüberblick) und einen Kulturfilm, bis dann endlich unser Film kam. Ängstlich, wie ich war, bat ich bei der Wochenschau häufig einen neben mir sitzenden Erwachsenen mir zu sagen, wann die „schrecklichen Bilder“ vorbei wären. Seinerzeit waren häufig Kriegsbilder aus der Nachkriegszeit zu sehen.

Als ich einmal – ich muss wohl schon 10 gewesen sein – in das neue Kino in der Straßburger Straße gehen wollte und einen Artistenfilm „Menschen, Tiere, Sensationen“ sehen wollte, machte meine Mutter nicht mehr mit. Der Eintritt kostete damals 1,30 Mark und das war ihr dann zuviel. Auch als ich sagte, ich würde künftig auf mein Taschengeld verzichten, riet sie mir, davon lieber etwas zu sparen, damit ich später mir so teure Filme ansehen könnte. Ich war damals ziemlich ungehalten. Aber meine Eltern mussten damals jeden Groschen umdrehen, um über die Runden zu kommen. Aus heutiger Sicht ist mir ihr Verhalten verständlich, damals war ich richtig sauer.

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[su_spoiler title=“Kind verloren“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
So genau weiß ich nicht mehr, warum wir eigentlich da waren. Auf jeden Fall gingen wir nach Karstadt am Wandsbeker Markt. Eine Strecke von gut 20 Minuten zu Fuß. Ich war gern mit meinen Eltern bei Karstadt. Dort gab es in einem der oberen Stockwerk eine elektrische Eisenbahn und das war natürlich riesig für mich Steppke. Kaum waren wir da, zog ich beide auch schon in die Richtung in die ich wollte.

All die Lichter und alle die sich bewegenden Waggons, ich war in meinem Element. Meinen Eltern versprach ich hier zu warten, so dass sie woanders Erwachsenen-Sachen sich angucken konnten.

irgendwann hatte ich alles gesehen und sah mich um. Meine Eltern waren nicht mehr zu sehen! Wahrscheinlich nebenan, auch nicht . . .! In einem anderen Stockwerk? Schnell die Rolltreppe genommen und da nachgesehen. Meine Eltern waren verschwunden. Ups, die hatten mich vergessen, ihren Sohn  einfach vergessen und waren bestimmt schon nach Hause gegangen. So langsam kamen mir die Tränen. Meine Eltern waren weg und ich ganz allein in Wandsbek.

Was machte Bernd? Er ging heulend nach Hause. Die Leute auf der Straße guckten mich komisch an, einige fragten auch, aber ich traute ihnen nicht und lief weg. Den Weg wusste ich so einigermaßen, da ich die Strecke nach Wandsbek zum HNO-Arzt einige Male gelaufen war. Rachenwucherungen entfernen: ohne(!) Betäubung. Wandsbek war für mich eher mit Schmerzen als mit schönen Dingen verbunden, bis auf die Eisenbahn. Aber nun waren ja meine Eltern weg. Nach langer Zeit kam ich endlich zuhause an, klingelte und niemand öffnete die Tür. Eine Nachbarin sah mich heulend vor der Haustür und fragte nach dem Grund.

„Meine Eltern sind weg, Wir waren bei Karstadt und sie sind einfach weggegangen.“

„Bestimmt kommen sie bald. Sie suchen Dich bestimmt.“

Das hoffte ich auch und aß erst einmal den Apfel, den ich von ihr bekommen hatte. So langsam wurde es dunkel, ich wusste gar nicht, wie es mit mir weitergehen sollte. Wo sollte ich schlafen, wer gab mir Essen? Ich war wohl ziemlich verzweifelt. Irgendwann sah ich am Ende der Straße die Gestalt meines Vaters auf mich zukommen. „Vati, wo ward Ihr denn? Warum seid ihr denn weggegangen?“

Er schimpfte nicht mit mir, wie ich es eigentlich erwartet hatte, sondern nahm mich nur in den Arm. Später hörte ich die Geschichte mehrmals (!), eigentlich immer wieder, aus Sicht meiner Eltern. Sie hatten mich in der Spielwarenabteilung gelassen, hatten meiner Zusicherung geglaubt, dass ich dort bleiben würde und gingen irgendwo anders hin. Als sie fertig waren, suchten sie mich. Ich war nicht da. Also suchten sie das ganze Kaufhaus ab, zusammen mit dem inzwischen alarmierten Kaufhausdetektiv. Ich blieb verschwunden. „Nein, der geht bestimmt nicht allein nach Hause, schon garnicht ohne seinen Roller“, meinte mein Vater. „Lasst uns nochmal suchen“ Aber da war kein Kind. Schließlich nahm er doch den Rat des Detektivs an, zu Hause nachzusehen. Meine Mutter blieb bei Karstadt. Und da war ich nun, dreckig, verheult und glücklich. Er nahm mich an die Hand und es ging wieder zurück nach Karstadt, Mutti abholen. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie mich sah und drückte mich ebenfalls.

Nach dieser Aktion bin ich niemals wieder allein hingegangen, ohne Bescheid zu sagen, wo ich mich befinden würde. Es war mir ein Rat für’s ganze Leben.
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[su_spoiler title=“Spielen“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Wo konnte man damals spielen?

Eigentlich überall. Wir hatten im Hinterhof, auf den auch die Balkone der Wohnungen abgehen, eine Sandkiste, in der wir buddelten und immer versuchten, soweit wie möglich in die Tiefe zu gelangen. Im Mittelbereich des Hofes war eine Wiese, um diese herum waren unterschiedlich hohe Bäume. Die Wiese wurde gelegentlich halbiert und durch einen Stacheldrahtzaun getrennt. Wahrscheinlich hatten wir Kinder den Rasen zu sehr umgepflügt. Der Stacheldraht hat bis heute eine Erinnerung in meinem Bein hinterlassen.

Bei uns an der Sandkiste gab es einen Rotdorn. Die Schmerzen, die die Dornen erzeugten, habe ich noch heute in Erinnerung. Trotzdem versuchten wir immer wieder, auf den Baum zu klettern, was uns ab einem gewissen Alter auch gelang. Auf der anderen Seite der Wiese stand eine fast haushohe Pappel. Die Mutigen unter uns kletterten auch da hinauf. Das war aber nix für Papa sein‘ Sohn. Mir reichte „unser“ Baum und auf das Geschimpfe der Eltern hatte ich keine Lust. Schließlich guckte immer irgendwer auf den Hof.

Wir, das waren zu der damaligen Zeit eine Vielzahl von Kindern. Allein in unserem Eingang wohnten damals mit mir 7 Kinder, die alle etwa im gleichen Alter waren. Und waren sie so bis zu 2 Jahre älter oder jünger, war das auch nicht so schlimm. Speziell den Älteren fiel immer wieder ein neues Spiel ein.

Verstecken brachte besonders viel Spaß. Wir hatten eine große Hand an die Wand gemalt. Das war unser Mieh (Mal), an dem man sich frei schlagen konnte. Verstecke gab es in den Kellerabgängen, hinter Bäumen und in oder hinter der Sandkiste genügend. Der Sucher hatte ganz schön zu tun.

Klar, die anderen Mieter waren nicht ganz so begeistert, wenn wir mal wieder durch die aufgehängte Wäsche liefen, aber eine deutliche Ansprache der eigenen Eltern „Du willst doch nicht, dass Deine Sachen schmutzig werden, wenn ich Waschtag habe, oder?“ reichte aus, künftig vorsichtiger zu sein.

An den Teppichklopfstangen konnte man herrlich hin- und herschwingen. Und Wäscheleinen, die hängengeblieben waren, verhalfen uns zu Gruppenspielen, bei denen die Kinder alle als Pulk gebunden waren.

An einem Ende des Hofes war eine Mauer, über die wir klettern konnten. Der Nachbarhof war teilweise noch von Trümmern übersät. Mitten auf deren Hof, lag ein halb umgekippter Schutzbunker für den Feuerwart. In den kletterten wir natürlich hinein – einige Eltern wissen es wohl heute immer noch nicht – und von außen wurde der Bunker zum Wackeln gebracht. Drinnen stank es nach Urin und Kot, aber wir waren trotzdem stolz, wenn wir den „Bombenangriff“ überstanden hatten. Glücklicherweise ist nie einem Kind etwas passiert.

Vor dem Haus lag die Straße, die mit Kopfsteinen (Blaubasalt) gepflastert war. Die Fußwege waren nur teilweise mit mit Gehwegplatten versehen. Hier konnten wir hervorragend Marmeln oder Kibbel-kabbel spielen. Natürlich auch Fußball oder – weniger häufig – Handball.

Im Winter banden wir unsere Schlitten aneinander und die kräftigsten Jungs zogen den „Zug“. Natürlich auch in Kurven, so dass die letzten „Waggons“ umkippten. Ein Heidenspaß!

„Und die Autos?“ Welche Autos? In unserer Straße war sehr wenig Verkehr, obwohl sie eigentlich eine Durchgangsstraße von der Straßburger Straße zur Marktfläche war. Seit vielen Jahren ist die Straße zur Straßburger Straße hin abgetrennt und endet dort als Sackgasse. Die Autofahrer passten sehr gut auf die Kinder auf und waren vorsichtig. Schließlich konnte ein eigenes Kind darunter sein.

Als wir ein wenig größer waren und zur Schule gingen, gingen wir natürlich auch weitere Wege und suchten „fremde“ Spielplätze auf, die teilweise „viiiel besser“ waren. (Wie eigentlich immer: Das, was Du nicht unmittelbar erreichen kannst, ist das Ersehnte)

Der Grünzug Dulsberg, zwischen den Straßen Dulsberg-Süd und Dulsberg-Nord, ist auch heute noch eine Freifläche mit Wiesen, Wanderwegen und Kinderspielplätzen. Zu meiner Zeit lag an einem Ende eine Freifläche mit „Nissenhütten“, Wellblechbaracken, in denen Ausgebombte ihr erstes Unterkommen hatte. Ob hier tatsächlich der Anteil von Läusebefall größer war oder es nur eine Abwertung der dort Lebenden war, ist mir nicht bekannt. Auf jeden Fall sollten und wollten wir mit „denen“ nichts zu tun haben.

Am anderen Ende war „unsere“ Rollerbahn – die einzige in Hamburg. Eine gepflasterte Strecke in Form einer 8, bei der mittels eins „Berges“ und eines „Tunnels“ die beiden Strecken sich kreuzten. Hui, das war ein Spaß und es gehörte auch Mut dazu, die „steile“ Strecke (gegen die Fahrtrichtung) zu bewältigen. Inzwischen ist sie vom Denkmalschutzamt wieder instand gesetzt. Hier gibt es mehr darüber.

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[su_spoiler title=“Unfälle“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Tja, da war ich mit gesegnet.

Meine etwas ungestüme Art brachte es mit sich, dass ich so einiges meinem Körper antat, allerdings toi-toi-toi ohne meine Knochen zu brechen.

Das Spielen an Bordstein besser: Kantstein, wie der Hamburger sagt, brachte es für mich mit sich, dass ich häufiger mal abrutschte und meine Fußgelenke überdehnte (verknaxte). Einmal war das Fußgelenk so dick, wie mein Oberschenkel. Hier war dann Muttis Leib- und Seelenrezept „Essigsaure Tonerde“ gefragt. Mit einem sauberen Verband um das Gelenk gewickelt und ab ins Bett. Alle paar Stunden wurde der Verband gewechselt. Auch mehrere Besuche beim Orthopäden brachten keine Erkenntnis, warum es mich immer traf. (Inzwischen ist mir klar, dass es eine vererbte(?) Hyperbeweglichkeit der Gelenke ist; meine kleine Tochter hatte es auch.)

Von meinem Erlebnis mit dem Stacheldrahtzaun auf dem Hinterhof hatte ich ja schon ansatzweise berichtet. Beim Ballspiel blieb ich so unglücklich mit dem Knie im natürlich rostigen Stacheldraht hängen, das meine auf mein Geschrei hin ankommende Mutter mich sehr vorsichtig aus der Falle befreite. Viel Jod und ein Verband war auch hier notwendig.

Durch den Keller ging’s in den Hof. Dummerweise war zwischen dem Keller und dem hinteren Ausgang noch eine verglaste Tür, die ich manchmal übersah und schon mit den Armen durch die Scheibe war, bevor ich die Tür öffnen konnte. Na ja, Pflaster und fertig. Meine Mutter durfte darüberhinaus mehrfach die Scheibe ersetzen.

Wenn Mädchen spielen, sollte man als Junge vorsichtig sein! Schließlich kann ein – früher üblicher – ledernder Absatzschuh recht schmerzhaft sein, wenn das Mädchen beim „Handstand an der Wand“ wieder in die Normalposition zurückkehrt und Bernd gerade vorbeigeht. Eine der Narben an meinem Auge stammen von dem Erlebnis.

Schließlich noch was Heißes.

Es war Waschtag und der Waschkessel im  Keller wurde angefeuert und mit Wasser gefüllt. Die Wäsche wurde hier gekocht, anschließend mithilfe der Handmangel, die an einer Wanne befestigt war, wieder entwässert. Eine auch körperlich sehr schwere Arbeit. Bernd wollte natürlich auch helfen. Der Waschkeller war feucht und rutschig und er mit seinen Lederschuhen rutschte aus und hatte innigen Kontakt mit seinem Oberschenkel und der gußeisernen Ofentür. So laut hatte lange kein Kind mehr das Haus zusammen geschrien. Der Oberschenkel war großflächig verbrannt. Gottseidank reagiert meine Mutter genau richtig und kühlte die Wunde mit eiskaltem Wasser, was mir zwar nicht gefiel, aber die Folgeschäden deutlich verringerte. Der Arzt war schließlich da und versorgte die Wunde mit kühlenden Tüchern. Eine riesige Brandblase bekam ich trotzdem. „Bis Du heiratest, wird man nichts mehr davon sehen“, meinte er noch zum Abschied. Ich war mir nicht so sicher, aber Recht hatte er.

Kleinere Schrammen und blaue Flecken waren bei uns damals so normal wie aufgescheuerte Knie. Schließlich waren wir alle – bis auf den strengsten Winter – kurzhosig unterwegs. Geschadet hat es keinem von uns.

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[su_spoiler title=“N E U: Winter“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Tja, das gab’s früher einmal: Frost-wochenlang, Schnee, zugefrorene Außenalster!

Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir in den 50er-Jahren fast in jedem Winter Schnee in so ausreichenden Mengen, dass wir unsere Schlitten herausholten.

Als ich noch kleiner war, zog Vati meinen Schlitten und ich jauchzte vor Vergnügen. Meine Versuche, ihn auch zu ziehen, waren eher zum Scheitern verurteilt. War dann doch zu schwer. Aber Vati und ich konnten Mutti gut ziehen. „Nicht zu schnell“, war dann häufig ihr Ausruf. Nun gut, zum Umkippen haben wir sie nicht gebracht. Das gelang viel besser bei unseren „Schlittenzügen“ vor unserem Haus auf der Straße. Mehrere „Große“ zogen fünf und mehr aneinandergebundene Schlitten. Hui, die nächste Kurve brachte dann die letzten zwei zum Umkippen. „Noch mal“ war unser Wahlspruch. Es gab zwar blaue Flecke, aber keiner hatte rumgeheult und sich als „Memme“ geoutet.

Bei uns in der Nähe war zwar kein Rodelberg im eigentlichen Sinne, aber neben der S-Bahnstation Friedrichsberg konnten wir Kinder hervorragend die Wiese hinab zur Wandse rodeln. Unmittelbar am Wasser standen (jetzt natürlich kahle) Sträucher, die wir als Puffer nutzten und unsere Schlitten genau darauf zu steuerten. Mit Karacho hinunter und gleich wieder nach oben, um es erneut zu versuchen. Manch einer traf die Sträucher nicht und rauschte in den Fluss. An dieser Stelle hatte ich mehr Glück und war nie im Wasser.

Der Mühlenteich nebenan war zumeist teilweise zugefroren, nur am gegenüberliegenden Ufer war häufig noch das Wasser der Wandse zu sehen und auch einige Löcher, in denen besonders Vorwitzige eingebrochen waren. Wir hatten hier einen gehörigen Respekt vor dem Einbrechen und trauten uns nur zu, am Rande auf dem Eis zu spielen.

Ich kann mich nur an ein Jahr erinnern (wann???), in dem die Außenalster und auch alle Kanäle in Hamburg zugefroren waren. An einem Sonntag machten wir uns auf und gingen auf der Eilbek (eigentlich „Wandse“)die lange Strecke vom Friedrichsberger Bahnhof bis zur Außenalster. „Aber nicht unter den Brücken, da hält das Eis nicht“ meinte Vati. Ich glaubte ihm zwar nicht, weil dort das Eis genauso aussah, wie woanders, nur mit weniger Schnee bedeckt. Aber wie es sich für mich gehörte, folgte ich ihm. Schließlich wissen Erwachsene meistens besser Bescheid. Das gilt in jedem Fall für einen etwa 10-jährigen Steppke. Auf dem Weg hatte einige Leute richtig lange „Glibberbahnen“ (aka „Glitsche“) angelegt. Bei uns in der Straße war meist nach so 3-4 m Schluss, gab ja sonst Mecker wegen der alten Leute, die da stürzen konnten. Aber hier waren die bestimmt 10 m lang. Auf dem Eis war es ja auch einfacher, sie zu bauen. Ich wollte gar nicht mehr aufhören, mich in die Schlange zu stellen und zu glibbern. Vati meinte: „Da gibt es bestimmt noch mehr von. Wir wollen jetzt weiter!“ Na gut, schweren Herzens trennte ich mich von der Glibber und wir gingen weiter. Hier unten im Tal der Wandse bekam man einen ganze anderen Blick auf die Straßen und Häuser, sie wirkten viel mächtiger und größer. Und der viele Schnee dämpfte die Geräusche, so dass trotz der vielen anderen Menschen, die auch zur Außenalster wollten, nicht sehr viel Lärm war, an den ich mich erinnere.

Schließlich, nach langem (vielleicht für mich als Kind auch langweiligem) Fußmarsch, erreichten wir den Kuhmühlenteich und schließlich die Außenalster. Wahrscheinlich war ich schon zu müde, aber so richtig toll fand ich es in meiner Erinnerung nicht: Riesige Eisfläche mit vielen Spaziergängern. Die Zeit der „Alstereisvergnügen“ war noch nicht angebrochen. Wie wir zurückgekommen waren, kann ich auch nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, aber wahrscheinlich mit der Straßenbahn.
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[su_spoiler title=“Mädchen“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Tatsächlich, Mädchen gab es auch damals schon!

Meistens liefern sie in langen wollenen Röcken herum  und waren gute Spielkameraden. Natürlich gab es auch die Sorte „Rührmichnichtan“, die mitten in der Woche oder auch in der Schule feinste Sonntagsklamotten trugen und versuchten, mit ihrer Nase, den Himmel anzukratzen. Die konnten uns gestohlen bleiben. Wer nicht bereit war, sich dreckig zu machen, hatte bei uns nichts zu suchen.

So ein großer Unterschied war auch gar nicht. Sie waren genauso ungestüm wie wir, vielleicht nicht immer so kräftig, dafür aber viel beweglicher. Sie spielten gelegentlich ihre eigenen Spiele „Geschichtenball, Handstand an der Wand“ und natürlich mit Puppen. Aber ebenso gern mit Spielzeugautos und Bällen. Und sie waren nachmittags wie wir im einheitlich braun-blau-Look der Nachkriegsjahre. Selbstgestricktes war Trumpf; möglichst lange halten sollte es auch.

Quelle: Hornbach.de

Nebenan, auf dem gleichen Stockwerk wohnte Renate, ein Kumpeltyp, mit dem ich immer viel gespielt habe. Wenn wir den jeweils anderen zum Spielen auffordern wollten, gellte unser „IIuuuh“ durch den Hof oder die Straße. Da wir beide nicht auf den Fingern pfeifen konnten, hatten wir diese kehlige Schreivariante entwickelt. Vor dem Haus zwischen zwei Eingängen befindet sich – auch heute noch – eine Abfahrt zu zwei Garagen. Die Abfahrt war durch ein niedriges 2-flügeliges Metalltor verschlossen, auf dem wir, bis von den Erwachsenen Mecker kam, gern hin und her schwangen. Häufig waren die Finger der letzte Puffer zwischen Tor und Wand. Unten, unmittelbar vor den Garagentoren, waren, damit die Tore im offenen Zustand gehalten werden konnten, Türaufhalter, etwa in der Art von dem Bild.  Da zwischen diesen und der Wand noch etwas Platz war, konnten wir hervorragend mit einem kleine Ball versuchen, diesen Zwischenraum zu treffen. Im Laufe der Zeit wurden wir immer geschickter und schafften es in der Vielzahl der Fälle.

Über uns wohnte Anke, das erste Mädchen, in das ich mit meinen 11 Jahren ein wenig verliebt war. Ob sie es auch war, ist mir bis heute nicht bewusst. Auf jeden Fall wollten wir – wenn wir nur ein wenig älter wären – heiraten! Ich war ziemlich selig. Allerdings führte unser Umzug zu einer dauerhaften Trennung. Offensichtlich war die Liebe dann doch nicht so groß.

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[su_spoiler title=“Essen“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Wenn ich an die verschiedenen Gerichte meiner Mutter zurückdenke, war vieles meine Lieblingsspeise. „Mag nicht, gibt’s nicht“ war nicht nur Ihr, sondern auch das Motto meiner Oma. Essen kochen und der entsprechende Einkauf war damals (?) Frauensache. Wir hatten gegenüber an der Ecke Tiroler Straße einen Krämer, bei dem es vieles gab, sogar Zigaretten einzeln. Am Straßburger Platz war ein Milchgeschäft „Beutner“ mit Milch, Butter, Käse und Eiern, bei dem die Milch in eine Glasflasche gezapft und mit einem Pappdeckel verschlossen wurde. Ein Hub war genau ein halber Liter. Daneben war auch ein Schlachter und in der Straßburger Straße ein Fischgeschäft. Unten in der Straße gab es ein Reformhaus mit pasteurisierter Milch, die ganz gelb aussah. Das war nichts für uns. Der Laden hatte sich auch nicht lange gehalten.

Habau Kartoffel und Obstkiste
Quelle: wayfair.de

Die Hauptspeise Kartoffeln war eingelagert. Die Kartoffeln kaufte man zentnerweise im Herbst. Bei der Anlieferung kamen sie im Keller in eine offene hohe „Kiste“, in etwa wie auf dem Bild und wir Kinder holten den Tagesbedarf nach oben. Übrigens, im gleichen Keller waren natürlich auch unsere Kohlen und Briketts gelagert.

Aber zurück zum Essen. Als ich in die Schule kam, fing mein Vater an, „zur See“ zu fahren. Aber auch davor war er selten zu Hause und wenn, dann schlief er, weil er als Kellner zumeist nachmittags und abends arbeitete. Nudeln mochte ich schon damals gern. Meine Mutter servierte sie häufig zusammen mit Rotbarschfilet und einer selbstgemachten Tomatensoße auf der Basis einer Mehlschwitze. Fisch war damals – im Vergleich zu Fleisch – deutlich billiger.

Einen Sonntagsbraten gab es wohl bei uns auch mal, aber äußerst selten. Hier fehlte es am einen oder anderen Groschen. Es wurde viel mit Kartoffelbrei gearbeitet. (Nur für mich?) Zusammen mit Spiegelei oder Bratwurst oder Leber, häufig zusammen mit Apfelmus, war das bei Bernd sehr beliebt. Mein Top-Essen war aber Karbonade mit Salzkartoffeln und Erbsen und Wurzeln, das es viel zu selten gab. Da mein Vater Magenprobleme hatte, für die Milchprodukte heilsam sein sollten, gab es natürlich Milchspeisen in allen Variationen: Milchreis, Grießbrei, Sauermilch (selbst hergestellt: Milch auf flachen Teller, ans Fenster und einen Tag warten. Geht heute nicht mehr, da es idR keine Rohmilch gibt),  Pudding (Schoko mit Vanillesoße oder umgekehrt oder mit Früchten). Als Nachtisch gab es häufig selbst eingemachtes Obst aus dem Garten der Großeltern in Poppenbüttel. Dass ich bei dem guten Essen nicht kugelrund geworden bin, wundert mich im Nachhinein. Aber es gab auch nichts zwischendurch! Drei Mahlzeiten am Tag und zusätzlich das Schulbrot (was bei mir häufig nur aus Äpfeln bestand) reichte uns aus. Und wenn wir im heißen Sommer Durst hatten, gingen wir in einen Keller, öffneten die kleinen Ablaufhähne (merkwürdigerweise immer im Ascheimerkeller) und hielten unseren Kopf darunter.

Da wir ständig draußen waren, gab es für die Fettzellen auch keine Zeit, sich irgendwo anzusetzen. Fotos aus den 50er-Jahren verdeutlichen, dass die Bevölkerung im Durchschnitt sehr schlank war.

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[su_spoiler title=“Kirche“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Wenn ich eins konnte, war es singen.

Berüchtigt waren damals meine „Radiosendungen“. Wenn ich abends im Bett lag und meine Eltern nicht da waren – sie gingen „um den Block“, wahrscheinlich, um mich daran zu gewöhnen, dass ich auch mal allein sein kann -, sang ich gern und laut. Dabei tat ich dann so, als ob bei uns ein Radio eingeschaltet wäre und produzierte Radiosendungen mit diversen Künstlern, die sowohl hoch als auch tief singen konnten. Natürlich gab es auch ausländische Sender mit fremdsprachigem Programm. Ach so, ich konnte natürlich kein einziges Wort in einer fremden Sprache, aber das war egal. Auf jeden Fall klang es danach. Unsere Nachbarn, wie ich später erfuhr („Ihr Sohn hat so eine schöne Stimme“), amüsierten sich trefflich über mein „Radio“.

Meine -mütterlicherseits – katholische Verwandschaft bestand bei Besuchen in Ahlen darauf, dass wir auch in die Kirche gingen. Das kniende Beten tat weh und gefiel mir nicht so. Aber der Gesang des Chores klang himmlisch in meinen Ohren. „Bei uns gibt es das aber nicht“ Das war ja was auf die Mühlen der protestantisch-kritischen Verwandten.

Als ich im Kindergottesdienst, zu dem damals eigentlich fast alle Kinder Sonntags um 11:30 Uhr gingen, äußerte, das es schade sei, das wir gar keinen Chor haben, lachte der Diakon. „Na, da will ich Dir mal was zeigen“. Er nahm mich mit auf die Orgelempore und stellte mich Herrn Rieckmann vor, dem Bruder unseres Schulleiters. „Wir haben gar keinen Chor, sagt Bernd. Kann man da nicht mal was machen?“

Die denkmalgeschützte Frohbotschaftkirche prägt den Stadtteil
Frohbotschaftskirche Dulsberg; Quelle: kirche-hamburg.de

Auch Herr Rieckmann grinste und erklärte mir, das es sehr wohl in der Frohbotschaftskirche einen Chor gäbe. Er probt jeden Mittwoch um 19:30 Uhr und wenn meine Eltern es erlaubten, könne ich gern vorbeikommen. Mutti sagte ja und schon war ich dabei und sang ab meinem 9. Lebensjahr mit. Zunächst im Sopran, wo ich es mit am höchsten schaffte, später – im Stimmbruch – zunächst im Alt, schließlich im Bass. Bis zu meiner Bundeswehrzeit war ich regelmäßig dabei. Danach nur noch für etwa ein Jahr. Meine Interessen waren dann auf anderes gerichtet.

Nun konnte ich auch mitbekommen, dass wir jeden Sonntag im Hauptgottesdienst einen mehrstimmigen Choral sangen und einmal im Jahr – meist im Advent – ein ganzes Konzert gestalteten.

Somit war der Mittwoch Abend und der Sonntag Morgen für mich ein fester Termin.

In unserer Kirche gab es damals 4 getrennte Pastorate, die alle für den Dulsberg zuständig waren und am Sonntag war ein Großteil der 600 (!) Plätze besetzt. Während unserer Konzerte musste diverse Besucher stehen. So voll war es.

Im Lauf der Jahre ging die Zahl der aktiven Gemeindemitglieder so stark zurück, so dass seit dem Jahr 2016 die Kirche vollständig umgebaut wird und nur noch einen geringen Platz für die wenigen (um 30) Gottesdienstbesucher zur Verfügung stellt. Auch der Abriss der Kirche, dem Wahrzeichen des Dulsbergs war vorübergehend in der Diskussion.

Bereits damals zur Weihnachtszeit erfüllte die Kirche ihren karikativen Zweck in vorbildlicher Weise. Wir Kinder sammelten von Tür zu Tür kleine Geldspenden und die Kirche packte Pakete, die sie an die Ärmsten der Gemeinde zusammen mit uns auslieferte. Auf unsere Sammelaktionen machte wir in der ersten Adventswoche durch einen Fackelumzug durch den ganzen Dulsberg aufmerksam. Hierbei sangen wir Advents- und Weihnachtslieder und brachte auch schon die umstehenden Zuhörer dazu, etwas in die Spendendosen zu werfen.

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[su_spoiler title=“Weiter weg“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Wenn wir keine Lust mehr hatten, hier in der Gegend zu spielen, schnappten wir unsere Roller (zwei hatten auch schon Räder!) und fuhren zum Wandsbeker Gehölz. Der“Wald“ neben dem Wandsbeker Rathaus auf der anderen Seite der (heutigen) Robert-Schumann-Brücke war zu unserer Zeit ein beliebter (und in der Gegend einziger) Waldspielplatz. Das das Gehölz über 2 km lang ist, mussten wir uns verständigen, wo wir uns treffen würden. Also teilten wir „unser“ Gehölz ein.

Das „Erste Gehölz“ war von der Brücke bis zur Bahnhofstraße, das zweite anschließend, das dritte begann hinter den Bahngärten, das vierte und das fünfte hinter der Jüthornstraße. Die letzten beiden waren für uns besonders interessant, das es hier inmitten der Gehölze Teiche gab. Hier fanden wir Kaulquappen (die unsere „Fürsorge“ alle nicht überlebten) und diverse Käfer und Schmetterlinge. (Inzwischen ist es als LSG Wandsbeker Geest erheblich weitergeführt worden)

Etwas Hintergrund findet ihr hier.

Meisten trafen wir uns im vierten oder fünften Gehölz und spielten hier Verstecken oder anderes oder fuhren mit unseren Rollern/Rädern um die Wette, bis es langsam dunkel wurde und wir nach Hause mussten.

Schließlich hatten wir alle die Anweisung der Eltern „Wenn die Straßenlampen angehen, kommst Du nach Hause“ im Ohr.

 

Eine andere hochinteressante Stelle war der Mühlenteich an der S-Bahn-Station Friedrichsberg. Wasser hat uns zwar immer angezogen, aber wir hatten auch reichlich Respekt davor, da die wenigsten von uns schwimmen konnten. So war der Osterbekkanal am anderen Ende der Elsässer Straße durch seine steile Mauerung überhaupt kein interessantes Spielgebiet.

Am Mühlenteich konnten wir unsere Segelboote schwimmen lassen und im Winter auf dem Eis laufen. Die benachbarte Brücke über die Wandse war nach dem Krieg notdürftig repariert und es lagen immer noch viele Steinbrocken im Wasser auf denen wir gern und ausgiebig herumturnten. Zwar hatten uns dieses alle Eltern verboten, aber . . .

Winter, Wasser, Steinbrocken ergibt: Glatte Oberfläche! Klar, auch ich musste meine Erfahrung machen. Natürlich durfte ich da nicht runter, aber ich bin ja vorsichtig, dachte ich zumindest. Das Ergebnis war natürlich, dass ich ausrutschte und bis zum Hosenbund im Wasser lag. „Davon darf aber meine Mutter nichts erfahren“ schwor ich meine Freunde ein. „Aber Deine Hose ist doch nass!“ – „Och, die trocknet schon wieder“

Also ging ich seeehr langsam nach Hause. Hielt an allen Ecken und Enden an, immer im Bewusstsein, dass die Hose schon viiiel trockener war, als noch vorhin.

Irgendwann wurde es doch dunkel und ich musste zuhause sein. Mutti merkte natürlich, was los war. „Wieso ist denn Deine Hose so nass?“ Ich versuchte noch mich rauszureden, aber das ging gehörig schief.

Die Folge bekam ich aber erst in der Nacht und in den nächsten Tagen zu spüren. Durch meine Unterkühlung hatte ich mir eine gehörige Erkältung aufgehalst, die zu einer Lungen- und Zwerchfellentzündung führte. Einige Tage Bettruhe mit hochdosierten Medikamenten waren die Folge. Und wahrscheinlich viel Angst bei meiner Mutter, ob ich es denn unbeschadet überstehen würde.[/su_spoiler]
[su_spoiler title=“Blätter“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
Büsche, Bäume und speziell deren Blätter hatten es mir schon immer angetan.

Während ich zur Schule ging oder zu einem Spielplatz, konnte ich feststellen, dass auch der Dulsberg viel Grün zu bieten hatte. Während ich ging, strich meine Hand meist durch die Büsche und Hecken am Straßenrand. Und gelegentlich riss ich ein Blatt ab, um es genauer zu untersuchen. Die feinen Äderchen oder Härchen faszinierten mich. Ich roch daran und nahm es auch in aller Regel in den Mund, um darauf herumzukauen. So konnte ich im Laufe der Zeit die verschiedenen Pflanzen an ihrem Geschmack unterscheiden.

„Aber das kann doch giftig sein!“ meinten viele. Davon habe ich mich aber nicht abschrecken lassen. Und das Argument meiner Mutter „Wenn das jeder macht,  gibt es bald keine Pflanzen mehr“ konnte ich bei der Vielzahl der Pflanzen überhaupt nicht nachvollziehen.

Besonders mochte ich die Blätter der Berberitze, deren sauere Geschmack mich faszinierte. Die Tatsache, dass, bis auf die Früchte, eigentlich alles an der Pflanze giftig ist, war mir zum Einen nicht bekannt, zum Anderen reichte ein Blättchen schon aus, um ein leicht taubes Gefühl im Mund zu bekommen und mich am Verzehr weiterer Blätter zu hindern.

Zum Herbst hin oder im Frühwinter suchten wir auch immer die Sträucher mit den Knallerbsen auf und bewarfen uns damit oder formten Muster auf dem Boden, die wir dann in großer Begeisterung zertraten. Das charakteristische „Plop“ habe ich noch heute in Erinnerung.

Mädchen ärgern brachte mit Juckpulver großen Spaß. Hierzu wurden die Früchte der Hunds-Rose, die Hagebutten, aufgebrochen und die „Kerne“ (eigentlich Nüsse, aber wer weiß das schon als Kind) in den Rückenausschnitt gesteckt. Natürlich mussten wir Jungs das gleiche Schicksal erleiden, aber bei vielen hatte es niemals gejuckt, so dass die Wirksamkeit von uns sehr bezweifelt wurde.

Wenn ich mich recht erinnere, waren Kastanien, Buchen oder Eichen („die stinken immer so“), bei uns in der Gegend nicht so verbreitet. Ich kann mich da an keine Spiel-Erfahrung erinnern. Für weihnachtliche Basteleien mussten wir schon in unser Gehölz fahren und dort sammeln. Ich konnte auch bei gelegentlichen Besuchen in Poppenbüttel entsprechende Früchte sammeln, wobei Bucheckern in der Regel sofort gegessen wurden.
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[su_spoiler title=“Umzug“ style=“fancy“ icon=“chevron“]
„Mutti, da kommt der Wagen, da steht WAC Keim drauf!“

Es war soweit, wir zogen um.

Aus unserer Wohnung in der Elsässer Straße in ein Haus in Poppenbüttel.

Als ich sieben Jahre alt war, ist mein liebster Opa verstorben, mit nur 56 Jahren. So konnte Oma die Konditorei nicht weiterführen und vermietete die Räumlichkeiten für ein Kaffeegeschäft.

Mein Vater fuhr während der Zeit zur See – als Chiefsteward bei einer amerikanischen Reederei. Nach einigen Jahren hatte meine Mutter die Nase voll von der Abwesenheit ihres Mannes und „bat“ ihn, wieder an Land zu kommen.

Die Pläne meiner Eltern waren dann, ein Lebensmittelgeschäft in Poppenbüttel aufzumachen. „Was zu essen benötigen die Leute immer und wenn wieder Krieg kommt sind wir, als wichtiges Versorgungsinstrument auch gut versorgt“, meinte mein Vater.

Also, Opa tot, Oma überschreibt Poppenbüttel an meine Eltern und dann?

Das Haus war zu klein für Oma (die ein Dauerwohnrecht erhielt), meine Eltern, den Laden und mich. Also wurde nochmal umgebaut. Die Backstube und der Laden wurde aufgestockt und seitlich am Haus ein Wohnzimmer (später auch eine Garage) angebaut.

Jetzt, im Frühjahr 1962, war alles fertig und der Umzug konnte beginnen.

Für mich hieß es Abschied nehmen von meiner bisherigen Umgebung. Zu Fuß zur Mittelschule ging auch nicht mehr, da musste ich künftig lange Busfahrten in Kauf nehmen. Aber ich wollte auf keinen Fall nach Poppenbüttel umgeschult werden, da ich nur ein durchschnittlicher Schüler war und die Schule in Poppenbüttel den Ruf (zumindest bei mir) einer sehr schwierigen Schule hatte.

Nachdem alles verladen war, fuhren wir mit der Bahn nach Poppenbüttel. Im Umzugswagen durfte nur eine Person mitfahren und das war natürlich Vati.

Am Ziel half ich noch, meine paar Möbel in mein neues Zimmer zu stellen und ging erstmal nach draußen zu den Feldern und Wiesen entlang des Kupferteichweges. Ich hatte ein neues Taschenmesser bekommen, das so scharf war, dass ich die langen Gräser mit einem Schlag abschneiden konnte.

Hier war ich nun. Alles war toll, großes Zimmer, anstelle von 7 qm, Garten, saubere Luft. Schließlich heizten wir hier mit einer Ölzentralheizung und nicht mehr mit Kohle, wie am Dulsberg. Und ich durfte im Laden mithelfen, meine Eltern bei ihrem Beruf unterstützen. Das brachte – zumindest am Anfang – sehr viel Spaß.

Ein paar Freunde fehlten mir noch, aber da gab es in der Zukunft bestimmt Kinder in der Nachbarschaft, die ich kennenlernen würde. So war es auch.

 

Mir war nicht bewusst, dass an diesem 1. April 1962 meine Kindheit, ihre Unbeschwertheit und ihre – in gutem Sinne – Verantwortungslosigkeit zu Ende gegangen war. Dieses merkte ich erst sehr viel später.

Für mich gelten immer noch diese Worte aus der Feuerzangenbowle:

Wahr sind die Erinnerungen, die wir mit uns tragen; die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden.

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